Moritz Kraemer hat für S&P viele Jahre die Bonität einzelner Länder bewertet. Unter ihm verloren zum Beispiel die USA erstmals ihr AAA-Rating – und er glaubt, das könnte bald auch Deutschland drohen
Nach den USA droht auch Deutschland seine Topbonität bei internationalen Gläubigern einzubüßen. Dies prognostiziert Moritz Kraemer, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und langjähriger Chefanalyst für Länderratings bei der weltgrößten Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P). Deutschland habe lange von seinem Exportmodell gelebt, erklärt Kraemer – doch das sei jetzt vorbei. Hinzu komme der demografische Wandel. „Deutschland wird die Topnote ,AAA‘ daher mittel- bis langfristig verlieren.“ Die Bundesrepublik ist eines von neun Ländern auf der Welt mit einer Höchstbewertung.
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Capital: Herr Kraemer, die Ratingagentur Fitch hat die Kreditwürdigkeit der USA von der Höchstnote AAA auf AA+ heruntergestuft. Helfen Sie uns: Wie dramatisch ist eine solche Abstufung überhaupt?
MORITZ KRAEMER: In diesem konkreten Fall wenig. Zum einen hat die Ratingagentur Standard & Poor‘s vor zwölf Jahren schon einmal das Gleiche getan. Der initiale Effekt ist also weg. Zum anderen ist die Ratingskala von Fitch wie eine Leiter mit 21 Sprossen, von AAA bis D, und die werden oben immer enger. Insofern ist es auch nicht wirklich dramatisch, wenn die USA von AAA auf AA+ heruntergestuft werden. Das ist so, wenn ich nur noch eine 1 auf dem Zeugnis stehen habe, und nicht mehr eine 1+. Es geht mehr um den Prestigeverlust und die politische Ausschlachtung.
Das heißt, die USA sind immer noch der zuverlässige und liquide Schuldner, für den sie sich selbst ausgeben?
Noch einmal: Das Rating ist weiter sehr gut. Wenn ich aber die politischen Streitigkeiten um die Schuldenobergrenze in den USA betrachte, dann verstehe ich unter „zuverlässig“ etwas anderes. Die politischen Machtkämpfe sind so intensiv, dass es zu einem selbstverschuldeten Zahlungsausfall kommen kann. Dass sich US-Finanzministerin Janet Yellen jetzt enttäuscht zeigt, ist ganz normal. Das habe ich dutzende, wenn nicht hunderte Male in meiner Zeit bei Standard & Poor‘s erlebt. Wenn die Nachrichten schlecht sind, werden die analytischen Fähigkeiten in Zweifel gezogen. Wenn die Nachrichten gut sind, schlachte ich sie als Regierung für mich aus.
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Sie waren lange Chefanalyst für Länder-Ratings bei Standard & Poor‘s (S&P) und haben 2011 auch die Abstufung der USA mitentschieden. Wie haben Sie die Reaktionen damals erlebt?
Ich erinnere mich sehr gut daran. Die Reaktionen waren wirklich heftig. Wir waren die größte Ratingagentur die Welt und haben zum ersten Mal die USA runtergestuft. Das hätte niemand für möglich gehalten, vor allem nicht von einer amerikanischen Ratingagentur mit Sitz in New York. Die Empörung in Washington war fulminant, und teilweise auch erheiternd. Was sofort losging, war, dass die Demokraten von einem Republikaner-Downgrade gesprochen haben, und die Republikaner von einem Obama-Downgrade. Das war eine schöne Form der Selbstoffenbarung, weil es zeigte, wieso wir das Rating eigentlich so erteilt hatten. Beide Seiten waren konsensunfähig geworden. Trotzdem war es eine intensive und schwierige Zeit, in der einige unserer Mitarbeiter sogar persönlich bedroht wurden.
Die Entscheidung kam wenige Jahre nach der Subprime-Krise, als die Ratingagenturen stark kritisiert wurden, weil sie eben nicht rechtzeitig gehandelt hatten. Die Kritik am Downgrade muss dann ja fast schizophren auf Sie gewirkt haben. Wie würden Sie die Stimmung zu der Zeit beschreiben?
Angespannt. Wir wussten, dass es die größte Ratingaktion aller Zeiten sein wird mit entsprechenden Auswirkungen. Aber wenn man in dieser Branche aktiv ist und seine Arbeit gut machen will, dann muss man diese Entscheidungen auch verteidigen. Das haben wir damals getan, auch wenn es das beschriebene Feuerwerk gab. Selbst als das Justizministerium ein anders gelagertes Verfahren gegen S&P eingeleitet hat, in dem man aber wohl auch eine Racheaktion gegen das Downgrade sehen kann, sind wir nicht eingebrochen – auch wenn es teuer war. Das hilft aber vielleicht bei der Erklärung, warum andere Ratingagenturen – und auch S&P selbst - jetzt etwas zögerlich sind bei USA- Downgrades. Fitch ist allerdings mutig unterwegs zurzeit, das muss ich eingestehen. Sie haben Frankreich im Juni runtergestuft, Großbritannien schon früher, und generell sind sie kritischer gegenüber entwickelten Volkswirtschaften. Das ist schon auffällig.
Als sie damals die USA herabgestuft haben, sind die Märkte ordentlich durchgeschüttelt worden. Schaut man heute auf die Kurse, sind die Bewegungen kaum nennenswert. Warum ist der Schock ausgeblieben?
Die Situationen sind nicht vergleichbar. Der Schock damals beruhte maßgeblich auf einem politischen Kompromiss, der zu massiven Ausgabenkürzungen geführt hat – also konjunkturellen Gegenwind gebracht hat. Die S&P-Entscheidung ist in dieses Sentiment hineingefallen und es gab außerdem einen negativen Ausblick von uns. Heute ist die Lage deutlich ruhiger und Fitch hat auch keinen negativen Ausblick gegeben. Der Hauptgrund dürfte trotzdem sein, dass wir damals die Ersten waren.
Ergeben sich durch das schlechtere Rating nun schlechtere Finanzierungsbedingungen für die USA, oder ist das Land mit dem Dollar so dominant, dass die Effekte kaum spürbar sind?
Es wird wohl keine großen Bewegungen bei US-Anleihen geben. Das gab es übrigens auch 2011 nicht. Die USA emittieren nach wie vor die unangefochtene Weltreservewährung, den Dollar – und an dieser Führungsrolle wird sich auch so schnell nichts ändern. Also nein: Die Effekte werden überschaubar bleiben und die USA werden sich weiter günstig verschulden können.
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Werden sich denn institutionelle oder konservative Anleger aus US-Bonds zurückziehen, weil sie nur in AAA-Anleihen investieren dürfen oder wollen?
Das denke ich nicht, und würde es auch nicht für vernünftig halten. Wenn man sich die Ausfallwahrscheinlichkeiten anschaut, dann sind die Unterschiede am oberen Ende nur minimal. Eigentlich gibt es viel zu viele Ratingsprossen am oberen Ende der Skala, das sollte den Anlegerinnen und Anlegern bewusst sein.
Was halten Sie denn von den Begründungen, die Fitch für die Abstufung heranführt? Also: politische Machtkämpfe, teure Subventionen, hohe Sozial- und Gesundheitskosten. Sind das überzeugende Argumente, oder hat Finanzministerin Yellen recht, die sagt, dass die Daten veraltet seien?
Nein, ich kann die Entscheidung komplett nachvollziehen. Auffällig ist, dass die Argumente identisch sind mit denen, die wir schon vor zwölf Jahren vorgebracht haben. Heute ist nur alles viel schlimmer. Man müsste eigentlich darüber nachdenken, ob eine Stufe überhaupt reicht. Die europäische Agentur Scope ist beispielsweise schon bei „AA“ angelangt.
Einzelne der kritisierten Punkte, zum Beispiel die hohen Sozial- und Gesundheitskosten, sind auch ein deutsches Problem. Wie lange behalten wir also noch unser AAA-Rating?
Das ist eine sehr relevante Frage. Wir haben die letzten Jahre sehr gut von unserem Exportmodell gelebt. Das ist jetzt aber vorbei. Der Wachstumsbeitrag ist nicht nur null, sondern leicht negativ. Wir müssen ein neues Wachstumsmodell finden bei gleichzeitig schrumpfender Erwerbsbevölkerung. Das wird gar nicht so leicht bei den ganzen anderen Problemen, die wir sonst noch haben. Ich bin mir sicher, dass sich die Ratingagenturen das ganz genau anschauen. Wir sollten uns darauf einstellen, dass Deutschland das AAA irgendwann verlieren wird. Nicht kurzfristig, also nicht innerhalb der nächsten zwei Jahre – aber mittel- bis langfristig.
Was wären die Folgen für Deutschland?
Das würde kein Erdbeben auslösen, auch wenn wir ein oder zwei Stufen runtergehen. Es kommt aber auch auf die Kommunikation der Ratingagentur an, und welchen Ausblick sie gibt. Kommt die Abstufung aus heiterem Himmel, oder ist sie klar vorgezeichnet? Diese Fragen entscheiden über die Folgen.
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Author: Lauren Baldwin
Last Updated: 1703843881
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